- Generationengerechtigkeit
- Ge|ne|ra|ti|o|nen|ge|rech|tig|keit, die <o. Pl.> (bes. Politik):gerechter Ausgleich der zu tragenden gesellschaftlichen Lasten (z. B. Rentenbeiträge, Staatsverschuldung) zwischen den ↑ Generationen (2).
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Generationengerechtigkeit,Ende der 1990er-Jahre im Rahmen der sozialpolitischen Diskussion in Deutschland populär gewordener Begriff, der das Problem der gerechten Lasten- und Nutzenverteilung zwischen den Generationen thematisiert. Er nimmt Bezug auf den die sozialpolitischen und finanziellen Regelungen und Verpflichtungen maßgeblich bestimmenden Grundsatz der Solidarität zwischen den Generationen, der als Generationenvertrag in Deutschland und anderen europäischen Staaten eine der wesentlichen Grundlagen der sozial- beziehungsweise wohlfahrtsstaatlichen Ordnungen bildet. Die mit dem Generationenvertrag im Besonderen in der Rentenversicherung gewählte »kontinentaleuropäische« (G. Esping-Andersen) Variante des Sozial- beziehungsweise Wohlfahrtsstaats besteht in einer staatlich geregelten, weitgehend aber durch die Beitragszahler im Umlageverfahren selbst getragenen sozialen Sicherung (in Deutschland paritätisch durch Arbeitnehmer und Arbeitgeber), und unterscheidet sich so von dem nordamerikanischen Modell der privaten Individualvorsorge wie auch dem skandinavischen Modell der steuerfinanzierten staatlichen Transferzahlungen.Das heutige deutsche Sozialstaatsmodell beinhaltet individuelle, gruppenbezogene und intergenerationelle Verpflichtungen. Geschichtlich hat es sich mit der Industriegesellschaft ausgebildet. Es lässt sich als ein Modell gesellschaftlicher sozialer Absicherung gegen die großen Lebensrisiken Arbeitslosigkeit, Krankheit, Unfall und Altersarmut in ihrer industriegesellschaftlichen Ausprägung beschreiben und unterscheidet sich darin grundlegend vom »Sicherungsmodell« der vorindustriellen, landwirtschaftlich geprägten Gesellschaft, in der die Großfamilie die wichtigste und in der Regel auch einzige Quelle sozialer Sicherheit war. Das Sozialstaatsmodell ist damit in starkem Maße an gesamtgesellschaftlichen Faktoren wie Bevölkerungswachstum, Ertragssteigerung, Vollzeiterwerbstätigkeit und statistische Lebenserwartung gebunden, die maßgeblich für die Prognose, u. a. des Alterssicherungssystems sind und für die jeweils einzahlenden Generationen bestimmte zu erwartende Zahlbeträge in Aussicht stellen. Angesichts rückläufiger Bevölkerungszahlen, einer deutlich steigenden Lebenserwartung, hoher Arbeitslosenquoten, einer wachsenden, teilweise erzwungenen, teilweise erwünschten Flexibilisierung von Arbeitszeiten und Erwerbsarbeitsverhältnissen (z. B. Erziehungszeiten, Jobsharing, Teilzeitarbeit, geringfügige Beschäftigungsverhältnisse in Form so genannter »630-Mark-Jobs«) und nicht zuletzt des Ausscheidens von immer mehr Menschen aus den solidarischen Sicherungssystemen der Renten- und Krankenversicherung (u. a. als Scheinselbstständige) stehen diese Faktoren, die den Generationenvertrag absichern sollen, seit Mitte der 1990er-Jahre im Zentrum sozialpolitischen Neuorientierungen. Als öffentlich geführte Diskussion hat sie sich besonders an der gesetzlichen Rentenversicherung festgemacht und stellt das Lasten-Nutzen-Verhältnis der Generationen neu zur Debatte. In diesem Zusammenhang kam der Begriff der Generationengerechtigkeit auf. Er wird seitens seiner Verfechter programmatisch verstanden und steht politisch für Konzepte, die bestehende sozialpolitischen Ungleichgewichte zwischen den Generationen im Rahmen neuer gesellschaftlicher Übereinkünfte »gerecht« ausgleichen wollen. Diese erschöpfen sich dabei nicht, wie man es vielleicht angesichts ihres Ausgangspunktes erwarten könnte, in dem Bevölkerungsrückgang und dem sich in den folgenden Jahrzehnten vollziehenden Alterungsprozess der Bevölkerung (standen 1998 in Deutschland einem Rentner vier erwerbstätige Beitragszahler gegenüber, so werden es 2040 nur noch zwei sein), in der Forderung nach einer Festschreibung der Beiträge zur Rentenversicherung (und damit der Absenkung des Rentenniveaus) oder einer (Teil-)Verlagerung der Alterssicherung in private Sicherungssysteme, sondern beziehen auch andere Faktoren mit ein. Hierzu gehören die angemessene Steigerung der Produktivität und die künftigen Entfaltungsrichtungen des Wirtschaftsprozesses insgesamt, die Entwicklung der Bevölkerungszahlen durch Zuwanderung, die Entwicklung der Erwerbsarbeit (die durch Maßnahmen zur Einbeziehung von Frauen in Dauerarbeitsverhältnisse ebenso erweitert werden könnte wie durch eine Absenkung von Jugendarbeitslosigkeit, die Schaffung neuer Arbeitsplätze besonders in Zukunftstechnologien und die Ausweitung der Lebensarbeitszeit in qualifizierten Berufen) und die Kontrolle und Steuerung der Finanz- und Kapitalmärkte. Immer wieder neu im Rahmen heutiger und künftiger gesellschaftlicher Entwicklungen zu hinterfragen ist in der Diskussion auch, ob die Problematik der solidarischen sozialen Sicherungssysteme und ihrer Zukunft (z. B. ob beziehungsweise inwieweit ihre mögliche Neustrukturierung auch Beamte, Politiker und Selbstständige einbezieht) in der Fokussierung auf die einzelnen Generationen als Beitragszahler und Bezieher finanzieller Leistungen zureichend erfasst werden kann. Es gilt ebenso, politische Lösungen in gesellschaftlichen Problemfeldern der jungen Generation zu finden (Familienförderung, Verhinderung von Kinderarmut, Erziehungs- und Ausbildungskosten, die im Unterschied zur Alterssicherung noch weitgehend den privaten Haushalten auferlegt werden) und Differenzierungen innerhalb der Generationen herauszuarbeiten, in denen Reichtum und Armut (z. B. Altersarmut, große Erbschaften) durchaus unterschiedlich verteilt sind. Nach wie vor spielen auch die herkömmlichen Differenzierungslinien sozialer Ungleichheit (Schicht, Bildung, Geschlecht) eine wichtige Rolle, so dass neben der Generationengerechtigkeit ebenso die Geschlechter-Gerechtigkeit im Blick zu behalten ist und das umfassende Thema einer sozialen Gerechtigkeit, »die sich an den Schwächeren innerhalb einer jeden Generation und in ihrem Verhältnis zueinander orientiert« (Christian Simmert auf dem »Rentengipfel der Jugendverbände« 1999 in Berlin). In die »Generationenbilanz« ebenfalls einzubeziehen sind die Nutzung der Umwelt und die Belastungen der öffentlichen Haushalte und damit verbunden die Beantwortung der Frage, wo die Grenzen zu ziehen sind, über die hinaus es weder staatlich legitim noch gesellschaftlich »gerecht« ist, künftigen Generationen die von den heutigen Generationen verursachten Schäden, Kosten und Schulden aufzubürden.Welfare States in Transition. National Adaptations in Global Economies, hg. v. G. Esping-Andersen (London 1996);K. G. Zinn: Sozialstaat in der Krise (1999);
Universal-Lexikon. 2012.